Jakob Kaiser
Jakob Kaiser (1888–1961) war ein deutscher Politiker der Zentrumspartei, später der CDU. Wie und warum wurde Kaiser, Vater von zwei Töchtern, ausgerechnet im Eichsfeld von der Gestapo festgenommen?
Von Berlin war Jakob Kaiser im April 1938 mit seiner 17-jährigen Tochter Lisel nach Duderstadt mit der Reichsbahn gereist, nicht ahnend, dass die Geheime Staatspolizei (Gestapo) seit längerem jeden seiner Schritte überwachte. Zwar hatte es seit April 1933 immer Drangsalierungen durch den NS-Staat gegeben: einen kurzzeitigen Haftbefehl, Entlassung, Ausstoß aus der Deutschen Arbeitsfront, was die Arbeitssuche erschwerte, Entzug des Reisepasses. Doch die Dichte der Beobachtung war Jakob Kaiser entgangen, nachdem er 1937 Kontakte zu ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern, darunter Wilhelm Leuschner aufgenommen hatte. Es mögen ihn Befürchtungen wegen der minderjährigen Tochter geplagt haben, weshalb er über seine engen kirchlichen Bindungen nach einem sicheren Ort für die Tochter Lisel suchte. Katholische Klöster waren als Zufluchtsorte bekannt, das Ursulinenkloster in Duderstadt empfahl man ihm.
Die Reise nach Duderstadt führte schließlich am 19. April 1938 zu seiner Verhaftung. Durch einen Brief Kaisers an seine Ehefrau, den die Gestapo abfing, erfuhren die Verfolger von der Reise. Da seit dem 2. Februar 1938 die Gestapo Darmstadt nach ihm fahndete, konnte in Duderstadt die Falle zuschnappen.
Über das Vorgehen berichtete der Kriminalbeamte: „Bei meiner Ankunft in Duderstadt wurden die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um den Aufenthalt des Kaiser in Duderstadt festzustellen. Im Laufe des Nachmittags war aber nichts weiter festzustellen, sodaß die Zugkontrolle durchgeführt werden mußte, um den Kaiser sofort bei seiner Ankunft in Duderstadt in unauffälliger Weise beobachten zu können. Gegen 20 Uhr traf mit dem Personenzug von Wulften kommend, der Geschäftsführer Jakob Kaiser in Begleitung seiner Tochter, der Schülerin Lisel Kaiser in Duderstadt ein. Er wurde sofort an Hand des von der Stapostelle in Düsseldorf übersandten Lichtbildes als der fragliche Kaiser erkannt und in unauffälliger Weise beobachtet. Kaiser begab sich mit seiner Tochter vom Bahnhof direkt zum „Hotel Zur Tanne“, wo er ein Zimmer für sich sowie seine Tochter bestellte. Gegen 20.45 Uhr verließ Kaiser in Begleitung seiner Tochter das Hotel, um angeblich einen Spaziergang nach dem Kloster der Ursulinen zu machen. Da er dieses nicht fand, ging er wieder zum Hotel zurück. Etwa um 21 Uhr führte Kaiser ein Ferngespräch mit Berlin und verlangte die Nummer 870 422 vom Hotel zur Tanne aus. Bei dem Teilnehmer handelte es sich um Dr. Elfriede Nebgen in Berlin. Zuerst sprach die Tochter im Beisein ihres Vaters und erwähnte, dass sie in Duderstadt gut eingetroffen sind. Das Wetter sei schlecht, weil es schneit. Anschließend sprach dann Kaiser, der u. a. erwähnte, dass er im Hotel zur Tanne wohne und daß die Zimmer gut sind. Er habe bereits einen Weg durch die Stadt gemacht, aber das Ursulinenkloster Duderstadt nicht gefunden.
Nach dem Ferngespräch blieben Kaiser nebst Tochter noch einige Zeit im Lokal des Hotels und begaben sich alsdann zu ihren Zimmern. Gegen 24.00 Uhr wurde Kaiser in unauffälliger Weise im Hotel aufgesucht. Der Wirt des Hotels wurde persönlich in Kenntnis gesetzt, dass er den Kaiser unter dem Vorwand, es sei ein Ferngespräch aus Berlin für ihn da, an den Apparat rufen sollte, was dieser auch tat. Kaiser erschien kurz darauf, nur mit einem Schlafanzug bekleidet und einem Mantel übergezogen und wollte den Fernsprecher aufsuchen. Auf dem Weg dorthin wurde er alsdann im Beisein des Polizei-Hauptwachtmeisters Kupitz der Ortspolizeibehörde in Duderstadt angehalten und nachdem sofort an Ort und Stelle eine körperliche Durchsuchung erfolgte, welche aber ergebnislos war, nach dem Hotelzimmer mitgenommen, wo dann sämtliche Bekleidungs- und Wäschestücke, sowie sonstige Utensilien einer gründlichen Durchsicht unterzogen wurden. Außerdem wurde das Hotelzimmer gründlich durchsucht. Nach dem genommenen Eindruck handelt es sich bei Kaiser um einen fanatischen Katholiken. Er ist überaus gut gekleidet und ist Träger des EK.I.
Bei der Festnahme war Kaiser vollkommen verstört und in seinem Wesen ängstlich. Die Tochter des Kaiser hat von dem gesamten Vorfall nichts gemerkt und wurde am heutigen Tage von Schwestern des Ursulinenklosters aus dem Hotel abgeholt. Gez. Wenzel, Krim. Sekretär“.
Bisheriger Lebensweg
Jakob Kaiser war 1938 fünfzig Jahre alt. In Hammelburg (Unterfranken) geboren, hatte er Buchbinder gelernt und sich früh den Christlichen Gewerkschaften, die von ihren katholischen Mitgliedern bestimmt wurden, angeschlossen, und seit 1912 arbeitete er als Gewerkschaftssekretär. In den Auseinandersetzungen über die Organisation von christlichen Arbeitern vertrat er eine sozial-kämpferische Linie, die sich gegen die Politik der Bischöfe wandte, die nur Arbeitervereine mit enger Bindung an das Episkopat wollten. Die unabhängige Christliche Gewerkschaft, die auch interkonfessionell sein sollte, konnte sich erst unter veränderten politischen Bedingungen nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzen, als der Gewerkschaftsführer Adam Stegerwald mit seinen Mitstreitern, unter ihnen auch Jakob Kaiser, die christlichen Gewerkschaften zu einer starken Konkurrenz der sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften machte. Als Gewerkschaftsführer in Köln wächst Kaisers Ansehen, sodass er bald zu den wichtigsten Führern seiner Gewerkschaft wird. Auch in der Zentrumspartei, der die Christlichen Gewerkschaften eng verbunden waren, wächst sein Einfluss, doch erst bei den Märzwahlen 1933 kann er über die Zentrumsliste für den Reichstagswahlkreis 22 (Düsseldorf-Ost) in den Reichstag einziehen. Ermächtigungsgesetz-Gegner Die NSDAP und die mit ihr verbundene Deutschnationale Volkspartei (DNVP) besitzen seit dem 5. März die absolute Mehrheit im Reichstag, benötigen jedoch für das verfassungsändernde Ermächtigungsgesetz die Zustimmung weiterer Reichstagsfraktionen. Da die Ablehnung durch die SPD sicher ist, erhält die 73-köpfige Zentrumsfraktion eine Schlüsselstellung, wenn das Ermächtigungsgesetz, das die Republik beseitigen und die nationalsozialistische Diktatur durchsetzen wird, durchkommen soll. Durch Drohungen und Zusagen erreicht die Hitler-Regierung die Zustimmung des Zentrums. Jakob Kaiser gehört zu den wenigen Zentrumsabgeordneten, die sich bis zuletzt gegen die Zustimmung aussprechen, doch er beugt sich wie alle dem Fraktionszwang. Wenige Wochen später erfährt er, wie wenig Verlass auf die Zusagen in der Nazizeit ist, die christlichen Gewerkschaften werden wie die anderen Gewerkschaften zerschlagen und in die Zwangsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront eingegliedert. Die Sekretäre werden arbeitslos, jahrelang kämpft Kaiser für die sozialen Belange seiner Kollegen. In dieser Zeit beginnt seine Annäherung an die in der Illegalität arbeitenden sozialdemokratischen Gewerkschafter.
Seine Zusammenarbeit mit Widerstandskreisen führte zu der Verhaftung in Duderstadt, doch die Anklage wegen Hochverrat kommt nicht zustande. Im Oktober 1938 wird er in Düsseldorf aus der Haft entlassen. Einer weiteren Haft nach dem 20. Juli 1944 entgeht Kaiser, weil ihn Freunde bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft verstecken.
CDU-Politiker nach 1945
Beim Wiederaufbau demokratischen Lebens wird Jakob Kaiser zu einer zentralen Figur: Er kämpft für die Einheitsgewerkschaft, die die Spaltung in Richtungsgewerkschaften beseitigt und er wird neben Konrad Adenauer zum Gestalter des Aufbaus der überkonfessionellen CDU.
In vielen Fragen weicht er von Adenauers Kurs ab, so plädiert er 1949 für die Große Koalition, doch bleibt er gegenüber dem Adenauer-Kurs loyal. Der gesamtdeutsch denkende Jakob Kaiser ist von 1949 bis 1957 Minister für Gesamtdeutsche Fragen, ohne dass er besonderen Einfluss auf die Deutschlandpolitik erhält. Nur als Repräsentant des Gewerkschaftsflügels wird er beachtet. 1961 stirbt Jakob Kaiser, der sich 1957 aus Gesundheitsgründen aus der politischen Arbeit zurückziehen musste, in Berlin. Der Deutsche Bundestag ehrt ihn dort mit dem Jakob-Kaiser-Haus.
- Autor Klaus Wettig ist Göttinger, ehemaliger SPD-Europaabgeordneter und arbeitet derzeit in Berlin als Kulturmanager. Der Text ist am 18. April 2008 im Göttinger Tageblatt erschienen.