Stadtarchiv Göttingen
Rund fünf Kilometer Schriftgut aus Göttingens Vergangenheit sind im Anbau des Rathauses an der Reinhäuser Landstraße gelagert. „Jährlich kommt neues Material hinzu, was natürlich auch die Traglast vermehrt“, berichtet Lohmar. 1981 wurde das Gebäude bezogen, Ende der 90-er Jahre mit einer Alarmanlage gesichert. Umfänglich seien die Absicherungen gegen das Katastrophenszenario eines Feuers: Sämtliche Bereiche seien mit Brandmeldern und Brandschutztüren ausgestattet, „letzteres zum Teil sogar doppelt“. Ein Großteil der Akten, Rechnungen, Protokolle und Dokumente wird in offenen Rollregalen aufbewahrt. Nur die wertvollsten Urkunden lagern in säurefreien Umschlägen in Stahlschränken. So etwa die älteste Urkunde des Stadtarchivs, mit der sich Herzog Otto im Jahr 1230 bei der Stadt bedankte, nachdem sie sich in welfische Hoheit begeben hatte. Zu den Schätzen gehört außerdem eine Urkunde von 1490, auf der einige Städte – darunter Göttingen, Einbeck und Hannover – gegenseitigen Schutz vereinbarten. Sechs Siegel zieren das Dokument. Besonders wertvoll ist auch ein katholisches Messbuch (Missale) aus dem 15. Jahrhundert, das aus der Kirchengemeinde St. Johannis stammt.
Was den Göttinger Archivaren besonders wertvoll erscheint, wird im niedersächsischen Staatsarchiv in Bückeburg gefilmt und in einem Stollen im Schwarzwald eingelagert. „Jedes Jahr kommen bis zu 20 Meter dazu“, erklärt Lohmar. Urkunden, alte Amtsbücher, Akten, Karten und Pläne, „alles aus der sogenannten Wertstufe 1“, sagt Archivleiter Böhme. „Wir gruppieren da eine Menge ein, damit wir viel verfilmen lassen können“. So blieben im Katastrophenfall wenigstens die Inhalte erhalten.
- Quelle: Katharina Klocke im Göttinger Tageblatt vom 10. März 2009.
Virtuelles Stadtarchiv
2006 wurden im Stadtarchiv 1.469 Benutzungen gezählt. Das Stadtarchiv kann man auch virtuell besuchen: Unter www.stadtarchiv.goettingen.de finden sich umfangreiche Informationen rund um die Sehenswürdigkeiten Göttingens und über die prominenten Kinder der Stadt.
Das dickste Buch und Archivalien aus der Blutkammer
Um seinen Kontrahenten bloßzustellen, gab sich Sebastian von Reden große Mühe. Akribisch schilderte er auf einem mittelalterlichen Flugblatt die Verfehlungen seines Schuldners und Feindes. Das Sinnbild für den Charakter des Bösewichts malte er unter die handschriftlichen Beschimpfungen. Die Zeichnung eines Mannes, der einem Pferd das Fell vom Leib trennt, wirkt wie gerade erst zu Papier gebracht – so frisch sehen die Farben aus. Dass der um 1400 verteilte Schelt- und Schmähbrief viele Jahrhunderte überstanden hat, ist ein Verdienst der Stadtarchivare. Beim Stadtführungsfestival „Göttinger Entdeckungstouren“ haben die Teilnehmer an einer Sonderführung einen Blick hinter die Kulissen des Stadtarchivs geworfen.
Hinter den dicken Mauern des Rathaus-Nebengebäudes an der Reinhäuser Landstraße in Regalsystemen, in Schubladen und Schränken werden fünf Kilometer Schriftgut seit dem 13. Jahrhundert gelagert. Zu finden sind Dokumente der Stadtverwaltung Göttingen und der eingemeindeten Ortschaften sowie von Privatpersonen, Familien, Vereinen, Firmen, Innungen. Darüberhinaus gibt es Findbücher, Kataloge und Sammlungen wie die fast vollständige Reihe Göttinger Zeitungen, Plakate, Flugblätter, Stadtpläne, Stammbücher und Autographen. „Das Archiv ist die älteste Dienststelle der Stadt Göttingen“, sagt Archivarin Ulrike Ehbrecht, die die Besuchergruppe durch die Räume führt.
Nicht nur bürokratische Vorgänge der Vergangenheit beschäftigen die Archivare. Zu den bereits existierenden Kilometern kommen jährlich weitere Meter zeitgenössischen Papierkrams hinzu: „Die Ämter der Stadtverwaltung geben uns die nicht mehr benötigten Akten“, erklärt Ehbrecht. Einer ihrer Kollegen entscheidet, welche mit einem „K“ für Kassation (Vernichtung nach Datenschutzprinzipien) oder einem „A“ für archivwürdig versehen werden. „Der Platz wird langsam knapp.“ Wichtige Unikate werden im niedersächsischen Staatsarchiv in Bückeburg abgefilmt und in einem Stollen im Schwarzwald eingelagert.
Die älteste Urkunde aus der Stadtgeschichte wurde um 1230 geschrieben: Herzog Otto forderte darin den Rat zur Anerkennung seiner Erbansprüche auf. Das dickste Buch verdankt die Stadt ihrer Kämmerei: Der Rücken des in Schweinsleder gebundenen Bandes mit Rechnungen und Belegen misst knapp einen halben Meter und stammt aus der Zeit der Universitätsgründung 1736/37. „Wahrscheinlich ist er deshalb auch so breit“, vermutet Ehbrecht.
Göttinger Archivalien wurden seit dem 14. Jahrhundert in hölzernen Laden und verschließbaren Kisten in der Dorntze des Alten Rathauses aufbewahrt. Manchmal liegt die Geschichte, die die Archivare bei der Bearbeitung des Materials entdecken, nicht im Inhalt, sondern in seinem Erhaltungszustand. Die „Archivalien aus der Blutkammer“ etwa zeugen von den Kämpfen des 30-jährigen Krieges (1618-1648). Es handelt sich um Schriftstücke, die beim Überfall feindlicher Soldaten auf das Rathaus über und über mit Blut bespritzt wurden. „Es war viel Arbeit, sie zu reinigen“, erinnert sich Ehbrecht.
Die aus Galläpfeln und Eisensulfat hergestellte dokumentenechte Tinte vergangener Jahrhunderte wurde mit Streusand getrocknet, „wenn ich damit arbeite, sehe ich aus wie im Urlaub an der Ostsee“. Kostbar sind die vom Stadtschreiber mit Notizen beschrifteten Wachstafeln von 1330 bis 1353, auf denen Statuten und Kriminalfälle in mitteldeutscher Sprache nachzulesen sind. „Die Tafeln werden jetzt restauriert“, berichtet die Archivarin.
Auch die jüngere Geschichte mitsamt ihrer Verbrechen taucht aus all den Pergamenten und Papieren auf. Die zwölfjährige Lissy Asser entdeckten die Archivare gleich zweimal in den Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus: in der Juden-Kennkartei des Einwohnermeldeamtes und auf einer Deportationsliste nach Theresienstadt. Damit dieser und andere Zeiträume der Göttinger Geschichte nicht in Vergessenheit geraten, können nicht nur Studenten sondern alle „Bürger mit einem berechtigten Interesse“ im Archiv arbeiten. Vor-aussetzung dafür ist lediglich das Ausfüllen eines Nutzungsantrages, auf dem der Hintergrund des Interesses abgefragt wird.
- Quelle: Göttinger Tageblatt, 8. August 2011